IoT – Ein Werkzeugkasten für die MINT-Bildung : Datum:
Interview: MINT-Bildung fördert Nachwuchs in technischen Berufen und kann dabei viel mehr. Das Verständnis, wie MINT in unserem Alltag wirkt und Dinge miteinander zusammenhängen, ermöglicht die Teilhabe an gesellschaftsrelevanten Fragen unserer Zeit. Das vermittelt die IoT2-Werkstatt.
Die IoT²-Werkstatt ist eine am Umwelt-Campus der Hochschule Trier entstandene Initiative, die Schülerinnen und Schülern wie auch allen anderen Interessierten einen Werkzeugkoffer an die Hand gibt, um MINT im allgemeinen und das Internet der Dinge als Teil dessen zu verstehen und selbst anzuwenden. Professor Gollmer gibt uns einen Einblick in dieses Projekt und seine Potenziale.
Professor Gollmer, wie ist die IoT²-Werkstatt entstanden und worum geht es dabei konkret?
Die IoT²-Werkstatt ist eine Initiative, die wir 2016 auf dem Digital-Gipfel gestartet haben, der damals in Saarbrücken unter dem Motto Bildung stattfand. Unser Ziel war es, Digitalisierung in die Bildung zu bringen und anfassbar zu machen. Wir haben eine grafische Oberfläche entwickelt, um Programme zu schreiben, ähnlich dem Konzept von Calliope, aber mit IoT-Blöcken – für W-LAN, Cloud-Anwendungen, digitale Plattformen –, die dann zusammengepuzzelt werden können. Und das ist genau die Schnittstelle: Erst war die Idee, Schüler zu begeistern, dann stellte sich heraus, das es auch für Studierende und für den Mittelstand eine tolle Sache ist, wenn IoT-Anwendungen und Algorithmen ohne Programmierkenntnisse zusammengeklickt werden können.
Mit dieser grafischen Oberfläche und der entsprechenden Hardware haben wir Schulen aufgerufen, anhand einer Blaupause und Beispielapplikationen, Ideen für das Internet der Dinge zu sammeln. Wir wurden überschüttet mit tollen Ideen, die die Schülerinnen und Schüler realisieren wollten. Ich kann Ihnen ein paar Beispiele nennen: Von einem Wäsche-Monitoring, das an der Wäscheklammer Luftfeuchtigkeit und Temperatur misst, über die smarte Pillenbox für die Oma bis hin zum Wecker, der später klingelt, wenn sich der Lehrer krankmeldet. Das waren alles Ideen der Schülerinnen und Schüler!
… Damit hat die Werkstatt einen Beispielcharakter, der Schulen oder Einrichtungen hilft, ihre Projekte selbstständig zu verfolgen. Richtig?
Die wirtschaftliche Komponente hinter der MINT-Bildung zielt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ab. Das Internet der Dinge ist aber auch für die Gesellschaft und den verantwortungsbewussten Bürger wichtig. Ich bin in der Charta digitale Vernetzung aktiv, ein ehrenamtlicher Verein, der aus dem IT-Gipfel 2014 hervorging. Wir haben in einem Papier darauf hingewiesen, dass das, was technologisch an KI und Digitalisierung möglich ist, nicht immer das ist, was eine Gesellschaft braucht. Um diese Diskussion führen zu können, welche Anwendungen sinnvoll sind, muss man wissen, wovon man spricht. Eigentlich müssten alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine gewisse Vorstellung davon haben, was ein Algorithmus oder eine Cloud ist und wie Machine Learning funktioniert. Das sind die drei Schlüsselkomponenten, nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Das ist die Mission, die uns vorantreibt.
Sehen Sie sich dabei eher als Innovationsförderer oder arbeiten Sie mit den Projekten konkret zusammen?
Sowohl als auch. Die Werkstatt ist im Prinzip ein Werkzeugkoffer. Die bisherigen Projekte sind bewusst nur mit Namen und nicht mit Inhalt auf der Webseite genannt, weil ich die Kreativität zukünftiger Schülergenerationen nicht wegnehmen möchte. Wir wollen zeigen: Wir müssen Digitalisierung in Deutschland nicht nur lernen, sondern auch anwenden. Wir müssen uns trauen, Hackathon-Veranstaltungen nicht nur für Nerds, sondern für gemischte Teams zu organisieren. Wir machen das mittlerweile auch in den Klassen 5 und 6. Da war ich erst skeptisch, aber die Kinder haben Ideen: Wenn Oma z. B. schwer mit der Mülltonne zu schieben hat, lässt sich über W-LAN und einen Motor die Mülltonne auch alleine nach draußen fahren. Da sehen wir uns einmal als Entwickler der Tools, das ist die originäre Aufgabe der Hochschule. Aber einmal auch als Innovator im Bildungssystem.
Was würden Sie sich Konkretes wünschen?
Das Bildungssystem muss das natürlich auch annehmen. Jemand muss die Chance erkennen, die dahintersteckt. Viele haben Angst vor Informatik, Angst, dass etwas Anderes wegfällt. Da kann ich sagen: Nein, bei IoT ist es andersrum, das IoT verknüpft das eine mit dem anderen, das ist dann MINT. Wir sind das I und wir stehen mittendrin. Wir verbinden auf der einen Seite das Theoriegebäude der Mathematik, auf der anderen Seite die Naturwissenschaften und die Technik mit dem anfassbaren Ding der Informatik. Wir bauen etwas, das durch das I eine höhere Funktionalität bekommt. Ein selbst gebautes Spektrometer ist beispielsweise Chemie zum Anfassen. Mit einem eigenen Access Point kann das mit jedem Smartphone bedient werden. Und der Algorithmus wird dabei für die Schülerinnen und Schüler transparent. Auch Kunst lässt sich an dieser Stelle mit Technik verbinden, zur Visualisierung der Ergebnisse sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Inwiefern sind diese Themen über die schulische MINT-Bildung hinaus gerade jetzt von Bedeutung?
In Rheinland-Pfalz finden in einigen Schulen jährlich Thementage und kreative Hackathon-Veranstaltungen statt. Das ist eine Kooperation zwischen der Hochschule und dem Bildungsministerium. Wir haben in der Hochschule fitte Studenten, die gerne an ihren alten Schulen als Coach zur Verfügung stehen. Vor dem Hintergrund von Covid-19 gäbe es jetzt auch die Chance, Schulungen oder Lernvideos durchzuführen. Das könnten aktuell auch Studierende leisten, die gerade kein Einkommen haben und ein Freisemester nehmen müssen. In der Corona-Krise zeigt sich auch, wie wichtig Maker sind. Das sind zukünftige Ingenieure und Bürgerinnen und Bürger, die sich der Technologie verschrieben haben. Beim WirVsVirus-Hackathon wurde beispielsweise ein DiY-Beatmungsgerät entworfen. Hier wurden pragmatische Lösungen für aktuelle Herausforderungen geschaffen. Es gibt eine große Bereitschaft, im Notfall zusammenzustehen. Das brauchen wir! Ein weiteres Beispiel ist eine CO2-Ampel. Da Covid-19-Infektionen durch Aerosole verursacht werden, lässt sich ausgeatmete und eventuell kontaminierte Luft durch den CO2-Gehalt im geschlossenen Raum messen.
Unter Mach mit liefert die Webseite der IoT²-Werkstatt weitere Ideen und Anregungen hierzu. Ein Traum wäre es, so etwas in die Schulen zu bringen. Erst einmal aus Gründen der Krise, um Vorsorge zu treffen, z. B. ordentlich zu lüften. Aber auch darüber hinaus für den Denkprozess bei hoher CO2-Konzentration oder dem Heizen bei offenem Fenster. Da hätten wir an ganz vielen Stellen eine Win-Win-Situation. Wenn die Schülerinnen und Schüler mit dem Algorithmus konfrontiert werden und selbstständig Messwerte aufnehmen und auswerten, Fallunterscheidungen vornehmen, ein Lämpchen anmachen und die Ergebnisse mit einem IoT-Block in die Cloud stellen, dann würden wir mehr erreichen als mit einem gekauften Gerät in der Klasse. Dann schlagen wir mehrere Klappen auf einmal: die der Digitalisierung, die der Corona-Vorsorge und die des Klimaschutzes.
Wir müssen in Deutschland den Mut haben, eigene Wege zu gehen, anstatt auf kostenlose Programmieroberflächen von Google oder Microsoft zuzugreifen. Die IoT²-Werkstatt war 2016 ihrer Zeit voraus, jetzt werden die Themen IoT und KI immer wichtiger, sie sind in den Medien und wir müssen sie in die Gesellschaft bringen. Das Geheimnis des Embedded Systems liegt darin, dass man viele Anwendungsfälle aus unterschiedlichen Kotexten ableiten kann. Je nachdem, ob wir z. B. die Temperatur messen oder einen Füllstand. Wir müssen den Schülerinnen und Schülern zeigen, wie alles miteinander zusammenspielt. Das ist Informatik.
Vielen Dank für das Gespräch.